Wenn Familiengeschichten weiterwirken – und du dich befreien willst
- Sonja Asch-Gruber
- 31. Aug.
- 4 Min. Lesezeit

„Was du erinnerst, ist nicht immer, was war – warum es Zeit ist, deine Geschichte neu zu erzählen“
Es war bei einer Beerdigung. Ich saß in der zweiten Reihe, meine Hände umklammerten ein zerknülltes Papiertaschentuch, und um mich herum wurden Geschichten erzählt – über die Verstorbene, über die Familie, über alte Zeiten.
Manche Geschichten kannte ich, manche hörte ich zum ersten Mal. Aber was mich am meisten berührte: wie sehr sich das Erzählen in der Vergangenheit bewegte.
Wie viel Schmerz, Vorwurf, Ungesagtes in diesen Erzählungen mitschwang.
Wie oft „damals“ zum Maßstab von heute wurde.
Und mir wurde bewusst: Wir halten oft an alten Geschichten fest, die gar nicht mehr lebendig sind – außer in unserem Kopf.
Und manchmal, das zeigen Studien, erinnern wir uns nicht einmal korrekt. Über die Hälfte unserer Erinnerungen sind nachweislich verzerrt oder falsch abgespeichert. Trotzdem leiden wir darunter. Erzählen sie weiter. Halten sie am Leben.
Das bedeutet:
Wir können an einer Vergangenheit festhalten, die wir so nie erlebt haben. Und damit unsere Gegenwart belasten. Und unsere Zukunft verbauen.

Was wiederholt sich in deiner Familiengeschichte?
In meiner Arbeit erlebe ich das immer wieder: Frauen – meist mitten im Leben – die zu mir kommen, weil sie „nicht mehr weiterwissen“. Sie sind erschöpft, ohne erklärbaren Grund. Oder sie stehen ständig in inneren Konflikten.
Oft geht es dabei gar nicht um das, was aktuell in ihrem Leben passiert. Sondern um das, was sie unbewusst mittragen.
Eine Klientin, nennen wir sie Lena, sagte gleich zu Beginn: „Ich fühle mich ständig schuldig. Egal, was ich tue, ich habe das Gefühl, jemandem etwas wegzunehmen.“
In der gemeinsamen Arbeit zeigte sich, dass ihre Großmutter im Krieg zwei ihrer Kinder verlor. Es wurde nie darüber gesprochen, aber die Trauer, das Ungesagte, die Schuld, „überlebt zu haben“, lebten im System weiter – durch drei Generationen hindurch.
Lena trug eine Schuld, die gar nicht ihre war.
Unversöhnlichkeit – ein stilles Gift
Was mich besonders beschäftigt, ist das Thema Unversöhnlichkeit.
In beiden meiner Familiensysteme gibt es Geschichten, die geprägt sind von tiefer Verletzung und Schweigen. Da wurde über Jahrzehnte nicht mehr miteinander gesprochen. Da hat jemand etwas „Unverzeihliches“ getan. Oder war einfach „weg“. Für immer. Und keiner durfte fragen, warum.
Ich erlebe, wie dieses Schweigen wirkt.
Wie viel Spannung es in die nächste Generation bringt. Wie innere Loyalitäten entstehen, die uns festhalten: an Rollen, an Überzeugungen, an Schmerz.
Und ich frage mich oft: Was wäre passiert, wenn jemand den Mut gehabt hätte, auszusprechen, was war? Ohne Urteil.
Einfach in dem Wissen, dass wir Menschen manchmal scheitern. Und dass Würde nicht bedeutet, einverstanden zu sein – sondern anzuerkennen, was war.
Denn wenn wir unversöhnlich bleiben, schaden wir uns selbst am meisten. Dieses Gefühl wirkt in unserem Körper – nicht im Körper des anderen. Ich kann nicht Gift trinken und hoffen, dass der andere daran stirbt. Und doch tun wir genau das, wenn wir innerlich nicht vergeben.

Was du nicht loslässt, wird dich weiter begleiten
Eine andere Klientin, Stefanie, trug über Jahre einen Groll gegen ihre Mutter in sich. „Sie war nie für mich da. Ich habe alles allein geschafft.“
Als wir tiefer gingen, kam die Geschichte ihrer Mutter zum Vorschein – eine Frau, die mit 16 ungewollt schwanger wurde, das Kind verlor, nie trauern durfte.
Die sich ihr Leben lang betäubte – mit Arbeit, mit Pflichterfüllung, mit Härte. „Ich erkenne, wie viel sie selbst ertragen musste“, sagte Stefanie leise. Und dann, irgendwann später: „Ich kann sie nicht lieben wie eine Mutter. Aber ich kann anerkennen, dass sie getan hat, was sie konnte.“
Das ist Heilung. Nicht die perfekte Versöhnung. Sondern der Moment, in dem du erkennst:
Ich darf loslassen, was nicht meins ist. Ich darf neu wählen.
Die liegende Acht – Vergangenheit und Zukunft in Balance
Für mich ist es das Bild einer liegenden Acht. In der Mitte bin ich. Links liegt das Feld meiner Vergangenheit, rechts das Feld meiner Zukunft. Ich bin die Verbindung. Alles fließt durch mich – was war, was ist und was sein will.
Und genau da, in dieser Mitte, darf ich wählen.
Welche Geschichte will ich weitertragen? Was darf ruhen? Was will ich neu erzählen?
Ich arbeite oft mit einer Übung, die ich auch dir ans Herz legen möchte:
Setz dich hin.
Lege zwei Blätter Papier auf den Boden.
Links deine Vergangenheit.
Rechts deine Zukunft.
Stell dich zuerst auf das Blatt der Vergangenheit.
Spüre, was da ist. Was dich festhält. Wer dort alles steht.
Dann geh zur Zukunft. Spüre, was auf dich wartet.
Was sich zeigen will. Und dann stelle dich bewusst in die Mitte. Und sprich laut:
„Ich anerkenne, was war. Und für mich darf es anders sein.“
Oder:
„Ich würdige euer Schicksal. Und ich darf glücklich sein.“

Es geht nicht ums Vergessen – es geht ums Anerkennen
Manchmal werde ich gefragt: „Heißt das, ich soll die Vergangenheit einfach ignorieren?“ Nein.
Ganz im Gegenteil. In meiner Arbeit ist das Hinschauen oft der erste Schritt. Zu fühlen, was war. Zu erkennen, was gewirkt hat – über Generationen.
Aber nicht, um darin stecken zu bleiben. Sondern um würdigen zu können. Und dann neu zu wählen.
Und ja – es darf berühren, was du da findest. Es darf schmerzen. Aber wenn du erkennst, was gar nicht deins ist, darfst du es ablegen. Damit du endlich bei dir ankommst.
Was du anerkennst, kann heilen
In jeder Familie – wirklich jeder – gibt es Geschichten, die kaum aushaltbar sind.
Menschen, die Unaussprechliches erleben mussten. Die nie gesehen wurden. Nie gewürdigt.
Und manchmal sind wir es, die diesen Schmerz endlich anerkennen dürfen. Damit etwas zur Ruhe kommen kann – in uns, aber auch für die, die vor uns waren.
Wenn ich in meiner Arbeit diese Momente begleiten darf, in denen plötzlich Tränen fließen – nicht aus Schwäche, sondern aus tiefer Berührung und Erkenntnis – dann weiß ich: Genau darum geht es.
Dass wir unsere Geschichte neu schreiben. Nicht indem wir etwas ausradieren. Sondern indem wir den Stift in die Hand nehmen und entscheiden, wie es weitergeht.
Was darfst du anerkennen und würdigen, um zu heilen?
Vielleicht beginnst du heute damit. Für dich. Für dein Leben. Und für die, die nach dir kommen.
Wenn du dir Begleitung auf diesem Weg wünschst – in deiner ganz persönlichen Geschichte – begleite ich dich gern in meinem Programm „Kraftvoll durch die Krebsreise“ oder in einer Einzelarbeit zur inneren Versöhnung.
Denn du darfst dir ein Leben erschaffen, das nicht von Schmerz, sondern von Verbindung getragen ist. Und das beginnt – bei dir.
Alles Liebe, Sonja




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